Linus und der Blick

Teil 5: Linus und der Blick – Warum ich nicht immer in die Augen schaue
Einfach Linus – Ein Kind mit Autismus
Ich heiße Linus. Ich bin acht. Ich kann dir sagen, wie viele Beine ein Brachiosaurus hatte. Aber ich kann dir nicht in die Augen schauen, wenn du mit mir redest.
Nicht, weil ich lüge. Nicht, weil ich mich schäme. Sondern weil es weh tut. Nicht im Körper, aber im Kopf.
Wenn Menschen mich anschauen, fühlt es sich an, als ob sie direkt in meine Gedanken greifen wollen. Ihre Augen sind laut. Manchmal unruhig. Manchmal neugierig. Und manchmal… zu viel.
Alle sagen: „Schau mich an, wenn ich mit dir rede.“ Aber ich höre dich auch, wenn ich zur Seite schaue. Oder auf meine Hände. Oder auf den Boden. Ich höre sogar besser, wenn ich dich nicht anschaue. Weil dann weniger los ist in meinem Kopf.
Mama hat das verstanden. Sie fragt jetzt nicht mehr „Warum guckst du weg?“ Sie fragt: „Willst du mir zuhören?“ Und ich sage: „Ja.“ Und dann rede ich. Ganz viel. Weil ich darf.
Manchmal schauen mich Leute komisch an, wenn ich wegsehe. Dann spüre ich, dass sie denken, ich wäre unhöflich. Aber ich bin nicht unhöflich. Ich bin vorsichtig. Und sensibel. Und ehrlich.
Ich kommuniziere nicht mit Blicken. Ich kommuniziere mit Worten. Oder mit Gesten. Oder mit Stille. Und das ist auch Sprache. Meine Sprache.
Ich bin Linus. Ich schaue vielleicht weg – aber ich bin da.
Einfach Linus. Ein Kind mit Autismus. Und einem anderen Weg, dich zu sehen.